Depression: Sport als dritte Säule der Therapie

15.07.2016 - Zurück

Strukturiertes Bewegungsprogramm senkt das Risiko für gefährliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei depressiven Patienten und hat positive Nebeneffekte auf die Psyche.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu den größten Gesundheitsproblemen der Welt. Bei Depression sind sie die häufigste Todesursache nach Suizid. Nach einer internationalen epidemiologischen Studie schätzte man allein im Jahr 2010, dass weltweit vier Millionen verlorene Lebensjahre auf das Konto einer vorbestehenden Depression gingen. Der Frage, weshalb Menschen mit Depression besonders gefährdet sind, gehen Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) seit mehreren Jahren nach: „Durch Depressionen kommt es zu einer Reihe endokriner und immunologischer Umstellungen im Körper, die langfristig zu einer Zunahme des Herzfettgewebes führen. Ein großes Herzfettgewebe ist ein bekannter Risikofaktor für die Entwicklung einer koronaren Arteriosklerose, also der Verkalkung der Herzkranzgefäße“, sagte Prof. Kai Kahl von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie. Die Ablagerungen verengen die Gefäße und können zu Infarkten führen.

Hinzu kommt, dass Menschen mit Depressionen häufig unter Antriebslosigkeit leiden und sich tendenziell eher wenig bewegen – ein Faktor, der ebenfalls das Herz-Kreislauf-System belastet. Mit diesem Themenkomplex befasste sich der Psychiater gemeinsam mit Kollegen des Instituts für Sportmedizin, der Klinik für Kardiologie und Angiologie und des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie. „Wir wollten uns die Herzgesundheit depressiver Patienten genauer ansehen und herausfinden, ob man durch bestimmte sportliche Maßnahmen etwas daran verbessern kann“, beschreibt Kahl die Ziele der Untersuchung.

An der zweiteiligen Studie nahmen 42 Patientinnen und Patienten teil, die wegen Depressionen stationär in der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie behandelt wurden. Die Teilnehmer waren zwischen 40 und 45 Jahren alt und wurden mit einer jeweils individuellen Psychotherapie sowie mit einer differenzierten Psychopharmakotherapie behandelt. Die eine Hälfte der Gruppe nahm zusätzlich an einer strukturierten Sporttherapie teil, die das Institut für Sportmedizin speziell für depressive Patienten entwickelt hatte. Das Sportprogramm bestand aus einem sechswöchigen Gerätetraining mit drei 45-minütigen Einheiten pro Woche. Trainiert wurden Kraft und Ausdauer. Die Intensität des Trainings wurde, entsprechend der Herz-Kreislauf-Werte und der Selbsteinschätzung der Patienten, langsam gesteigert. Sporttrainer standen den Probanden zur Seite.

Zu Beginn der Studie stellten die Wissenschaftler fest, dass depressive Menschen durchschnittlich 1,5-mal mehr Herzfett haben als gesunde Menschen. „Die Größe des Unterschieds hat uns sehr überrascht“, sagte Kahl. Nach der sechswöchigen Sporttherapie hatten die Teilnehmer etwa zehn Prozent ihres Herzfettes verloren. Weitere erfreuliche Effekte der Sporttherapie waren eine Verringerung des ebenfalls gefährlichen, bei depressiven Patienten überdurchschnittlich vorhandenen Bauchfettes, eine Verbesserung der HDL-Cholesterinwerte und eine verbesserte maximale Sauerstoffsättigung des Blutes. Ganz nebenbei wirkte sich die körperliche Betätigung auch positiv auf die Psyche aus.

„Die Studie zeigt, dass ein strukturiertes intensives Training ein guter Weg ist, um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzinfarkt zu senken“, erklärte der Psychiater. „Eine langfristige Veränderung des Lebensstils hin zu gezielter Bewegung kann die gesundheitliche Situation depressiver Patienten deutlich verbessern.“

Kahl freut sich darüber, dass alle Patienten aus der Sportgruppe das Programm beendeten und etwa ein Drittel auch danach freiwillig weitermacht. „Früher hieß es immer, depressive Patienten sind zum Sport kaum zu motivieren. Doch es kann klappen, wenn sie intensiv betreut werden und das Programm optimal auf sie zugeschnitten ist. Die Sporttherapie sollte bei der Behandlung depressiver Patienten grundsätzlich als dritte Säule zur psychotherapeutischen und medikamentösen Therapie hinzukommen“, forderte der Psychiater. Er hofft, dass dieser Teil demnächst in die medizinischen Leitlinien für die Therapie von Depressionen aufgenommen wird.

Quelle: Medizinische Hochschule Hannover